Die Geschichte des legendären Kaufhauses im Herzen von Paris beginnt 1869, als der Krämer Ernest Cognacq nahe der Pont Neuf einen Laden eröffnete. In Erinnerung an eine bis 1813 dort installierte Wasserpumpe, deren Relief die Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen darstellte, nannte er ihn „La Samaritaine“. Schnell entwickelte sich „La Samar“, wie die Pariser das Geschäft tauften, zum grössten Warenhaus der französischen Hauptstadt.
La Samaritaine, das einst grösste Warenhaus von Paris, wurde von Grund auf umstrukturiert. Die Um- und Erweiterungsarbeiten zielten auf eine Mischnutzung von Hotel, Büro- und Wohnflächen sowie merklich verkleinertem Kaufhaus ab. Bei letzterem sorgen überhohe Brandschutz-Pendeltüren für komfortablen Zugang und höchste Sicherheit.
Die Verkaufsfläche von zuletzt 48.000 Quadratmetern verteilte sich auf insgesamt vier Häuser. Das bekannteste davon dürfte das Magasin 2 sein, mit seinem prächtigen Jugendstilgebäude am Quai du Louvre (Architekt Henri Sauvage) und einem daran anschliessenden, etwas älteren Bauwerk (Architekt Frantz Jourdain), das sich bis zur Rue Baillet erstreckt. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite der Rue Baillet entstand später das Magasin 4, das bis zur Rue de Rivoli reicht.
Mischnutzung in Top-level
Im Jahr 2001 erwarb der französische Konzern LVMH zunächst die Mehrheitsrechte an La Samaritaine, seit 2010 ist das weltweit grösste Unternehmen der Luxusgüterindustrie Eigentümer der gesamten Liegenschaft. Das Kaufhaus war jedoch schon 2005 aus sicherheitstechnischen Gründen geschlossen worden. Im Rahmen der Sanierung hat LVMH nun eine Mischnutzung realisiert, bestehend aus einem Warenhaus mit einer Verkaufsfläche von nur noch 20.000 Quadratmetern, einem Luxushotel in den oberen Etagen des denkmalgeschützten Sauvage-Baus, 15.000 Quadratmetern Bürofläche, 96 Wohneinheiten und einer Kindertagesstätte. Mit dem Umbau des Jugendstilgebäudes in ein Hotel wurde der französische Architekt Edouard François beauftragt; den Neubau auf dem Grundstück des einstigen Magasin 4 entwarfen SANAA. Das japanische Architektenduo war kurz zuvor für seine ebenso „grazilen wie kraftvollen“ sowie „klaren und fliessenden“ Entwürfe mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet worden. Für die Fassade des Neubaus entwickelten SANAA eine schlichte Lösung aus gewelltem Glas – ein Vorschlag, der im wahrsten Sinne des Wortes „Wellen schlug“: Eine Klage der Denkmalschutzbehörde verzögerte die Bauarbeiten über Jahre. Erst in dritter und letzter Instanz wies der Conseil d’État sie ab.
Überhohe Brandschutz-Pendeltüren
Die Planung und Realisation der Wellenglasfassade einschliesslich der dahinter liegenden thermischen Fassade verantwortete der Südtiroler Fassadenbauer Frener & Reifer. Da es kein Fassadensystem gibt, mit dem eine solch komplexe Konstruktion standardmässig realisiert werden kann, übernahm der Fassadenspezialist aus Brixen neben der Entwicklung der technischen Lösung einschliesslich notwendiger Tests und der Projektierung die Rolle des Dirigenten, der das Zusammenspiel internationaler Firmen und Systemlieferanten für diese objektspezifische Sonderkonstruktion orchestrierte.
Die Wellenglasfassade verläuft im Abstand von 0,30 bis 1,30 Metern vor der thermischen Fassade und fungiert als Sonnenschutz. Diesen bewirkt ein feines Raster aus unsichtbaren Punkten, die die Sonnenstrahlung reflektieren. Die Wellengläser sind mittels Tragarmen an nur vier Punkten der thermischen Fassade aus lasergeschweissten Edelstahlprofilen befestigt. An der thermischen Fassade wurden, je nach bauseitigem Erfordernis, Glastypen verschiedener Hersteller verbaut. Das Erdgeschoss wird im Bereich der Wellenglasfassade durch Pendeltüren erschlossen. Die 3,30 Meter hohen Flügel, insgesamt 22 Stück, entwickelte Jansen in enger Zusammenarbeit mit Frener & Reifer auf der Basis des Stahlprofilsystems Janisol 2 als EI30 Brandschutz-Pendeltüren. Die überhohen Flügel sind äusserst leichtgängig: Mit nur geringem Druck können sie auch von älteren und schwächeren Personen einfach bedient werden.
15000
Quadratmeter Bürofläche
20000
Quadratmeter Verkaufsfläche
96
Wohneinheiten
Zusätzliche Glasdächer
Auch an anderer Stelle haben SANAA die Vorliebe Jourdains für lichte Konstruktionen aufgegriffen und neu interpretiert. Dem bereits vorhandenen, denkmalgeschützten Glasdach, der „Verrière“, fügten die Architekten zwei weitere hinzu: den „Dôme“ im Jourdain-Bau, ein gewölbtes Rechteck von circa 18 x 20 Metern, und den „Ombrelle“, einen Glasschirm im Innenhof des Neubaus an der Rue de Rivoli. Die Abfolge der drei Atrien stellt die fussläufige, grösstenteils überdachte Verbindung zwischen dem Quai du Louvre und der Rue de Rivoli her. Die beiden neuen Glasdächer fertigte Frener & Reifer im innovativen Stahlleichtbau. Dass die Architekten keine sichtbaren Verbindungen akzeptierten, stellte die Fassadenspezialisten vor grosse Herausforderungen. Schliesslich wurden beide Glasdächer vollständig im Werk in Brixen vorgefertigt und in transportablen Elementen auf Tiefladern zur Baustelle gebracht, dort mittels Kran in Position gehoben und verschweisst. Für die Fertigung des „Dôme“ wählte Frener & Reifer das Stahlprofilsystem Jansen VISS. Die Bereiche mit Brandschutzanforderungen konnten mit VISS Fire optisch einheitlich ausgebildet werden, ohne dass ein Unterschied zu erkennen wäre. Gestalterisch, das heisst bezüglich der Dachform, ihrer Neigung und der Grösse der Gläser, bewegte sich der „Dôme“ im Rahmen der gegebenen Zulassung, so dass keine Prüfung im Einzelfall erforderlich war.
Minimierte Pfosten-Riegelfassade
Umso aufwendiger gestaltete sich die Herstellung der Fassaden im Innenhof des Neubaus an der Rue de Rivoli. Hier sollten gemäss dem Wunsch der Architekten die vertikalen Fugen trotz der Brandschutzanforderung EI30 möglichst unsichtbar sein. Die Herausforderung für Frener & Reifer lag darin, eine Pfosten-Riegelfassade mit der optischen Anmutung einer Structural Glazing Fassade zu realisieren. Dies wurde mit der Serie Janisol 2 schliesslich erreicht – nach zahlreichen Brandschutztests mit verschiedenen Dichtungen, Befestigungssystemen und Glastypen. Der Aufwand hat sich gelohnt: Mit ihren grossen Glasformaten und im regelmässigen Abstand integrierten Senkklappfenstern entsprechen die Innenhof-Fassaden dem Wunsch der Architekten nach einer schlichten und zurückhaltenden Gestaltung, die die notwendige Technik dezent verbirgt. Rund 750 Millionen Euro hat LVMH nach eigenen Angaben in den Gebäudekomplex investiert. Bleibt die Frage, wann La Samaritaine wieder eröffnet – der ursprünglich für April 2020 angekündigte Termin wurde wegen der Corona-Pandemie kurzfristig verschoben. Bis zum Jahr 2021 könne es dauern, mutmasst die Zeitung Le Monde, bis das Kaufhaus seinen Betrieb aufnimmt. Und auch die Mieter der Büros und der Wohnungen sowie alle, die ungeduldig auf die Eröffnung des Sternehotels „Cheval Blanc“ warten, müssen sich wohl noch einige Zeit gedulden. (AMR)
Bautafel
BAuherr
Architekten
Metallbau
Frener & Reifer, Brixen
Stahlprofilsystem
Janisol 2 EI30 Brandschutz-Pendeltüren, VISS, VISS Fire, Janisol 2 Fassade (objektspezifische Sonderlösung)
Fotografie
© Florian Kleinefenn, Montreuil