Friedrichstrasse Berlin:
«Bahnhof der Tränen»

Der Berliner Bahnhof Friedrichstrasse, im Stadtbezirk «Mitte» gelegen, wurde 1878-1882 von Johannes Vollmer als einer der grossen Stadtbahnhöfe errichtet.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Bahnhof an der Friedrichstrasse Berlin für den Fernverkehr zu klein. Von 1919-25 erfolgte die Umgestaltung und Erweiterung durch Carl Theodor Brodführer. Auf der Nordseite entstand ein weiterer, leicht erhöhter Bahnsteig. Unter dem Stadtbahnviadukt erhielt der Bahnhof auf der Nordseite zwei abgetreppte Eingangsbauten in klassizistischer Formensprache. Die Nordfassade wurde mit dunkel glasierten Klinkern verkleidet, die Ecken mit gerundeten Formsteinen gestaltet. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 wurde der Bahnhof, bis dahin das pulsierende Herz der Stadt, zur Endstation - aber auch zur wichtigsten Grenzübergangsstelle der auf Jahrzehnte zerrissenen Stadt: erste Station für Touristen und Besucher aus Westberlin und letzte Station für die DDR-Bürger, die das Land verlassen durften. Vom Tag des Mauerbaus an hatte die DDR den 160 Meter langen und 40 Meter breiten Bahnhof in ein Gewirr aus Gängen und Sperren verwandelt. «Der Bahnhof erschien mir als ein unglaubliches Durcheinander. Einfach nur schrecklich,» sagt der Westberliner Architekt Werner Weinkamm. Er hatte den Zwitter aus Bahnstation und Grenzübergangsstelle Mitte der 1970er-Jahre erstmals besucht. Auf den Gedanken, dass die Deutsche Bahn ihn einmal beauftragen würde, diesen Irrgarten zu entrümpeln, wäre er damals nicht gekommen.
Die 1999 abgeschlossenen Umbaumassnahmen unter seiner Federführung führten zu einer vollständigen Entkernung des Gebäudes und der Neustrukturierung mit Glas, Stahl und Granit. Weinkamm errichtete eine grosse Längshalle, die dank lichter Überdachungen und verglaster Fassaden für eine wiederum offene und transparente Bahnhofsatmosphäre sorgen. Zwei ebenfalls neu geschaffene Querpassagen leiten Reisende zu den Bahnsteigen. Die einzigartige Nordfassade aus den 1920er-Jahren wurde nach historischen Fotos und Plänen rekonstruiert und mit Klinkern und Verzierungen aus glasierter Terracotta versehen. Auch die Bahnsteighallen wurden nach historischem Vorbild nachgebaut. Durch die grossflächige Verglasung der Dachfläche und die kleinteiligen Verglasungen der Fassade entspricht die Halle jetzt wieder dem Aussehen von 1925 - und wird zugleich, dank der originalgetreuen Sanierung mittels zeitgemässen Stahlprofilsystemen, den energetischen Anforderungen von heute gerecht. Mit der Umgestaltung wurde das Ziel erreicht, einen modernen Bahnhof zu schaffen, der seine Geschichte nicht verleugnet. Heute benötigt niemand mehr eine Erlaubnis, um von Ost nach West zu gelangen. Lediglich ein historisches Foto auf dem Bahnsteig A, eine kleine Ausstellung sowie ein Gebäude-Querschnitt aus den 1970er-Jahren führen den Besuchern vor Augen, dass der Bahnhof Friedrichstrasse mehr als 28 Jahre lang der «Bahnhof der Tränen» gewesen ist.
Bautafel
BAuherr
Deutsche Bahn
Architekten und Fachplaner
Weinkamm Architekten, Berlin/DE
Stahlprofilsysteme