Bauzeitliche Industrieverglasungen
Die Eisen-Sprossenfenster des Baus von 1908 sind mit 42 (6 x 7) Feldern pro Fensterebene deutlich grossflächiger als die Fenster des Baus von 1900 mit nur 24 (4 x 6) Sprossenfeldern. Jede Öffnung besass ein Schwingfenster oben; jede zweite Achse war zudem mit zwei inneren und einem äusseren Öffnungsflügel ausgestattet, als Fluchtweg im Brandfall. An den westlichen und östlichen Seitenwänden sind je sechs, an der nördlichen Wand neun dieser aussergewöhnlich grossformatigen Kastenfenster eingelassen. Auch die insgesamt 19 Eisenfenster des Baus von 1900 hatten eine innere und eine äussere Fensterebene und waren fest verglast; aber bei ihnen waren lediglich zwei innenliegende Sprossenfelder als Drehflügel ausgebildet.
Grundstückssituation und Planung liessen Raum für eine nochmalige Erweiterung an der Südfassade, doch soweit sollte es nie kommen: Die im wahrsten Sinne des Wortes „verwobene“ Unternehmensgeschichte der Erlangen-Bamberger Baumwollspinnerei meisterte Kriege, Wirtschaftskrisen mit Rohstoffknappheit und den Arbeitskräftemangel zuzeiten des Wirtschaftswunders. Doch gegen die zunehmende Verlagerung der Textilindustrie in Niedriglohnländer kam die ERBA nicht an – 1992 stellten Spinnerei und Weberei den Betrieb in Wangen ein. 2009 erwarb die Stadt Wangen das ERBA-Gelände mitsamt der teils denkmalgeschützten Gebäude. Im Hinblick auf die Landesgartenschau 2024 soll es städtebaulich an die Altstadt angebunden werden, während die einzelnen Gebäude zur Sanierung weiterver-äussert wurden.

© miguelbabo/Jansen AG
Revitalisierung des Industriedenkmals
Den Zuschlag beim Weiterverkauf der Neuen Spinnerei erhielten Wilhelm und Wolfgang Forster: Vater Wilhelm brachte als Metallbaumeister und Gründer der Unternehmensgruppe Forster Metalltechnik die fachliche Kompetenz für die Sanierung der zahlreichen Industrieverglasungen ein. Sohn Wolfgang übernahm die organisatorische Abwicklung des Bauvorhabens, unterstützt vom Architekten Max Wittmann, der zuvor als Geschäftsführer der Landesgartenschau 2006 in Marktredwitz fungierte. Ziel ist eine Mischnutzung aus Wohnen und Gewerbe: die Geschäftsstelle des Roten Kreuzes, eine Augenklinik, eine Zahnarztpraxis und eine Unternehmensberatung zählen zu den künftigen Nutzern. Dazu kommen Flächen für ein Shared Office, ein gastronomischer Betrieb und insgesamt 23 Eigentumswohnungen.

Doch die wenigen öffenbaren Flügel waren ein grosses Hindernis, da sie die natürliche Belüftung verhinderten, auch waren die originalen Kastenfenster praktisch nicht zu reinigen. Die Option der Erhaltung wurde für jedes einzelne Fenster geprüft, konnte jedoch schon allein aus energetischen Gründen nur in ganz bestimmten Bereichen realisiert werden. Beispielsweise im künftig gastronomisch genutzten Bereich des Erdgeschosses, wo rauminnenseitig eine Isolierglasscheibe vor die restaurierte Sprossenkonstruktion gesetzt wurde; oder aber im Treppenhaus, wo die energetischen Anforderungen niedriger sind als in den Wohn- und Geschäftsräumen. Für alle anderen Bereiche wurde schliesslich in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt eine zeitgemässe Lösung entwickelt: ein Verbundfenster mit einer Glasteilung zwischen der äusseren und der mittleren Isolierglasscheibe der dreifach verglasten Konstruktionen – ein Musterfenster aus dem Stahlprofilsystem Janisol Arte 2.0 hatte die erforderliche Entscheidungssicherheit herbeigeführt. Die über 100 Fenster und Festverglasungen wurden schliesslich jedoch aus dem neueren Sprossensystem Janisol Arte 66 mit einer Bautiefe von nur 66 Millimetern gefertigt.

„Das Einzige, das bei den neuen Fenstern etwas stärker aufträgt, ist die Anschlagdichtung der Öffnungsflügel“, erläutert Wolfgang Forster; „ansonsten sind die neuen Fenster tatsächlich so schlank wie die Industrieverglasungen von damals.“ Zur Absturzsicherung sind die Fenster in ihrem unteren Bereich nicht öffenbar. Es versteht sich von selbst, dass auch der Korbbogen der 120 Zentimeter resp. 170 Zentimeter breiten und in ihrem Scheitel 350 Zentimeter hohen Verglasungen nachgebildet wurde. In einigen Wohnungen, in denen die Decken abgehängt wurden, ist der Bereich um die Fenster herum ausgespart. Allerdings befindet sich nur ein kleiner Teil der Wohnungen in den historischen Gebäudeteilen von 1900 und 1908. Der weitaus grössere Teil wurde auf dem Flachdach des Südbaus von 1900 realisiert, nachdem man die denkmalpflegerisch unbedeutende Aufstockung von 1957 teilweise rückgebaut hatte. Auf der so entstandenen Grundfläche von 37 x 37 Metern wurden innerhalb der bestehenden statischen Konstruktion dreiseitig Wohnungen als „Haus-im-Haus“-Konzept errichtet: sie werden über einen nach oben offenen Innenhof erschlossen, der die natürliche Belichtung und Belüftung sichert. Alle Wohnungen verfügen zudem über vorgelagerte Dachterrassen, die sich mit raumhohen Hebe-Schiebtüren aus dem Aluminiumsystem ASS 70 HI von Schüco zum Wohnraum hin öffnen lassen. Bereits lange vor der Fertigstellung waren die attraktiven Neubauwohnungen vergeben; inzwischen sind sie, wie auch ein Teil der Gewerbeeinheiten, bereits bezogen. Anfang 2022, so der Zeitplan, soll die Sanierung der Neuen Spinnerei abgeschlossen sein.